Ich wünsche Euch heute einen schönen dritten Advent
genießt die Zeit mit Euren Lieben!!!
Wie immer ist heute in meinem
ADVENTSKALENDER
eine Geschichte
also viel Spaß
Das Weihnachtsgeschenk
Besinnliche
Weihnachtsgeschichte für Erwachsene
von Petra Krippner
von Petra Krippner
Soll ich es als Geschenk einpacken?“ Das Routinelächeln der Verkäuferin saß am Ende des langen Tages ein wenig schief und bildete einen Kontrast zu den akkuraten, in Windeseile geschnürten und mit der Schere glatt gezogenen Schleifen, die leicht und wolkig unter ihren Händen wippten. Als werte sie die Unentschlossenheit der Kundin vor ihr als Einwilligung, zog sie ein weiteres Stück Geschenkpapier von dem schweren Ständer mit den verschiedenfarbigen Rollen.„Nein, lassen Sie. Es ist kein Geschenk!“
An einem Tag, an dem sie eine Kollegin vertreten und zusätzlich
noch eine Kasse mit betreuen musste, war sie froh, nicht alles
einpacken zu müssen, auch wenn sie mittlerweile fast im Schlaf
Päckchen für Päckchen in Geschenkpapier wickelte, mit einer
hübschen, aufwändigen Schleife verzierte und das alles in der
Hälfte der Zeit, die sie noch zu Beginn des Weihnachtsgeschäftes
gebraucht hatte. Sie dachte an den kleinen Jungen, der geduldig
alle paar Tage in der Schlange wartete und ihr, wenn er endlich
vorne stand, mit feierlichem Ernst ein selbst gebasteltes
Geschenk hinhielt. „Für Mama, bitte einpacken!“, sagte er, oder
„für Papa, Oma“. Manchmal sagte er auch gar nichts und grinste
ein klein wenig verschmitzt als verstünde sie, dass der
Beschenkte oder die Beschenkte geheim bleiben müsse. Die meisten
Kunden nahmen diesen Service des Hauses ebenso ungerührt in
Anspruch wie den kostenlosen Glühwein, die Lebkuchen und heuer
auch noch die knallroten, papierdünnen Nikolausmützen. Es gab
Leute, denen ein in Rekordgeschwindigkeit eingepacktes Geschenk
noch zu lange dauerte.
Ein Kunde hatte über die
kunstvolle Medaillon-Schleife die Stirn gerunzelt und
darauf bestanden, dass sie den tristen Bildband über
Mecklenburg-Vorpommern schlichter verpackte. Es war ihr
aufgefallen, dass es immer mehr Kunden gab, die die Bitterkeit
ihres Lebens wie ein Schild vor sich hertrugen. Die Einsamkeit
hingegen begegnete ihr still und oft von ausgesuchter
Höflichkeit. Die Jüngeren versteckten sie berechtigterweise
hinter Hoffnung, ihr Leben konnte noch viele Wendungen nehmen.
Die alten einsamen Leute sogen Worte auf wie Schwämme und wogen
sie kostbar. Ihr Blick glitt über die glänzenden
Geschenkpapierrollen. Sie dachte an das Geschenk, dass sie ihren
Mann machen würde. Etwas, das schon perfekt eingepackt war. Die
Kundin vor ihr war unglücklich. Ein flüchtiger Blick genügte
nach all den Jahren. Wie leicht ließ es sich in den Gesichtern
lesen, gerade zur Weihnachtszeit. Sie ließ das Buch zusammen mit
dem Kassenbon, einem eingeschweißten Lebkuchen, der lächerlichen
Mütze und einem aufmunternden Lächeln in eine Tüte rutschen und
wünschte automatisch ein frohes Fest.
Die junge Frau erwiderte den Gruß knapp, nahm die Tüte zu den restlichen und trat eilig aus der Schlange. Die kommerzielle Weihnachtsmusik klang ihr nun schrill in den Ohren. Sie drängte zwischen den unzähligen Mänteln, Jacken, Tüten und Taschen zum Ausgang. Kalte Luft schlug ihr wohltuend entgegen. Eine Gruppe Teenager, die sich gegenseitig die bunten Mützen von den Köpfen zogen, rempelten sie, ehe sie johlend im warmen Kaufhausbauch verschwanden. Vor dem Einkaufscenter standen Nikoläuse und prosteten sich mit Glühwein zu. Ein Christbaumverkäufer pries lautstark seine Ware an. Sie floh in das bleigraue Dunkel stiller Straßenzüge. Es begann heftig zu schneien. Dicke wattige Flocken, die um Straßenlaternen wirbelten und Sekunden später in deren Licht erstarben. Mit dem Schnee kam der Wind und schneidende Kälte. Sie stellte die drei eleganten Papiertüten kurz in den Schneematsch und zog die pelzgefütterte Kapuze ihres Mantels hoch. Ihr fiel ein, dass sie vergessen hatte, die Heizung zu Hause anzustellen, wieder einmal. Und doch war es nicht die Aussicht auf diese Kälte, die ihre Glieder bleiern werden ließ. Ihr Blick fiel auf das kleine, altmodische Cafe gegenüber, in dem sie ab und zu frühstücken pflegte. Sie mochte die eigentümliche Ruhe die dort herrschte, seit Jahrzehnten wie ihr schien und die alle Hast hinter den zart geblümten Vorhängen zurückhielt. Ein bisschen dieser Ruhe würde gut tun, ebenso wie die hervorragende Tasse Schokolade, die man dort bekam. Dunkel und vollmundig, aber nicht zu süß. Geblendet vom heftigen Schneetreiben stieß sie die Tür auf und erschrak. Das Cafe war voller Menschen und summte wie ein Bienenstock. Die junge Bedienung, die sie erkannte und nun unschlüssig stehen sah, nickte ihr freundlich zu und wies auf einen kleinen Tisch, an dem noch ein freier Platz war. Zögernd schob sie sich durch ein Grüppchen von Leuten. Sie stellte ihre Tüten dicht neben sich, schälte sich aus dem feuchten Mantel. Es war warm hier, zu warm und zu laut, und doch hinter all dem Trubel entdeckte sie die Stille. Wie ein feiner Nebel hing sie in den Ecken und dämpfte die Gespräche. „Wie immer?“, fragte die Bedienung. Sie nickte und wenig später stand eine dampfende Tasse heißer Schokolade vor ihr. Sie ließ ihren Blick schweifen, ein paar Leute kannte sie flüchtig. „Ist hier noch frei?“ Sie nickte und rückte noch ein wenig zur Seite, damit genügend Abstand zwischen ihr und dem neuen Gast blieb. Ein Mann mittleren Alters, der sich in einem fort räusperte und angestrengt in seine Tasse Kaffee blickte. Weihnachten würde sie nun doch zu ihren Eltern fahren. Sie würde das Geschwätz ihrer aschfahlen, langnasigen Tanten ertragen, die mit Besitz und prächtigen Karrieren ihrer Kinder wetteiferten. Ihre kleine Schwester würde davon nur kurz mit ihrem neuen rotbäckigen Nachwuchs ablenken können. Die Nasen der Tanten waren sich einig: Ja, Kinder kriegen konnte sie, eins nach dem anderen. Das zählte. Sie hingegen würde nur spitze Blicke und zähes Schweigen ernten, die sorgenvolle Blicke ihrer Mutter wie Messerstiche im Rücken spüren. Keinen Mann, kein Haus, keinen Nachwuchs. Verloren mit Mitte dreißig in der Großstadt. Alles Unausgesprochene würde Vater mit seinen gnadenlosen Raubeinigkeit und Taktlosigkeit spätestens am zweiten Feiertag aufgreifen und den gehassten Schwestern seiner Frau, die ihn für einen Versager hielten, um die Ohren hauen, bis sie beleidigt Nase an Nase das Weite suchten. Sie würde zu viel essen, zu viel trinken und bevor sie beginnen würde, zynisch zu werden, würde sie wieder abreisen, den enttäuschten Blick ihrer blassen, stillen Mutter im Rücken. Sie seufzte stumm, legte das Geld für die Schokolade auf den Tisch, zog den Mantel über und nickte dem Mann kurz zu.
„Entschuldigung, Sie haben das vergessen!“, kam er ihr wenig
später zur Tür nachgeeilt und hielt ihr verlegen eine Papiertüte
hin. Das Buch, das sie aus Sentimentalität gekauft hatte. Es tat
immer noch weh. Doch es hatte keine Bedeutung mehr, sie würde es
nicht aufschlagen, es auch niemand anderes schenken, obwohl..
„Oh, das. Da habe ich mich schrecklich vergriffen. Es ist bald
Weihnachten. Vielleicht haben Sie Verwendung dafür. Frohes
Fest!“, sagte sie und lächelte kurz und freudlos. Noch bevor der
Mann protestieren konnte, schlüpfte sie hinaus in den dichten
Schneefall. So gut es ging hielt sie sich an der genossenen
Wärme und Stille fest, ehe die Einsamkeit und die Kälte
zurückkehrten.
Der Mann verstand nicht. „So warten Sie doch, Sie können doch
nicht..!“ Er folgte ihr vor die Tür. Doch die Schritte der
jungen Frau entfernten sich rasch im watteweichen Schneeteppich,
der sich lautlos ausgebreitet hatte. Für einen Augenblick erwog
er, ihr nachzulaufen, doch dieser Augenblick verrann wie alle
die anderen Momente, Augenblicke und Gelegenheiten, in denen er
spontan sein wollte und es dann doch sein ließ. Er kehrte an den
Tisch zurück. Die Tüte machte ihn verlegen. Er sah sich um, aber
die anderen Gäste nahmen keine Notiz von ihm. Verrückt waren
manche Leute, kauften Sachen, die sie nicht brauchen konnten und
schenkten sie Wildfremden.
Wut wallte für einen Moment in ihm hoch, verebbte ebenso
schnell. Er griff in die schmale Tüte, zog Nikolausmütze und das
Buch hervor und legte es neben seine Tasse. Die Mütze schob er
achtlos beiseite. Leuchttürme von Jean Guichard. Er
schlug das Buch auf und ließ seine Finger über die bunt
bebilderten Seiten gleiten. Die brillanten Farben, ohne Zweifel,
es war sicher sehr teuer gewesen. Spektakuläre Aufnahmen von
Leuchttürmen in der Bretagne, an der amerikanischen Ostküste, in
Schottland. Wind und wasserumtoste Leuchttürme, die allen
Widrigkeiten trutzten, stark und ungerührt. Er war kein
Leuchtturm. Alles rührte ihn an, machte ihn zu schaffen. Ob
Marga sich darüber freuen würde? Geschenke, Geschenke. Die
Kinder brauchten doch noch Geschenke.. Buchhalter waren nicht
mehr gefragt. Mit Mitte vierzig war er zu alt, mit der Firma für
die Geschäftswelt gestorben. Längst hatte er resigniert, auch
wenn er es nicht zeigte, sich bewarb und bewarb, wenn es
irgendwo etwas zu bewerben gab und sich fortbildete, wie man es
ihm auftrug, um die Zeit totzuschlagen. Zu Hause hielt er es
nicht mehr aus, auch wenn sie alle Rücksicht auf ihn nahmen. Er
konnte Margas stumme Verzweiflung nicht ertragen. Sie würde
keine Freude an diesem Buch haben, was interessierten sie
Leuchttürme in Schottland, wenn die Schullandheimfahrt der Söhne
nur unter größten Entbehrungen möglich war. Er legte Buch und
Mütze in die Tüte zurück, der Kassenbon fiel ihm entgegen.
Wieder ein Impuls, ein Gedanke. Die Läden waren noch geöffnet,
er konnte das Buch mit dem Kassenbon zurückgeben. Von dem Geld
könnte er den Kindern Taschengeld geben, oder Marga eine
Kleinigkeit kaufen. Da war dieser Schal, den sie letzte Woche in
einem Prospekt so ausgiebig betrachtet hatte. Der Gedanke
überdauerte den Moment.
„Hier! Bitte füllen Sie das aus!“ Die Verkaufsberaterin reichte
dem Herrn einen Rücknahmeschein, dann blickte sie überrascht auf
den Bildband. Diese Leuchttürme. Sie hatte das Buch vor kaum
einer Stunde verkauft wie der Kassenbeleg zeigte. An eine Dame,
da war sie sich ganz sicher. Nun sie wunderte sich nicht mehr.
Kurz vor Weihnachten war das Kaufverhalten vieler Kunden extrem.
Sie zeichnete den Beleg gegen und trat von einem Bein auf das
andere. Ihre Füße waren schwer geworden. Sie war auch müder als
sonst, doch all das hatte seinen Grund, einen süßen, wunderbaren
Grund. Ihre Gedanken eilten voraus, nach Hause, als sie dem
Herrn vor ihr das Geld für das Buch zurückgab.
„Seien Sie so freundlich, und stellen Sie die Retoursendungen in
die Regale zurück! Einige liegen hier schon seit Tagen.“,
beauftragte sie eine junge Auszubildende, die ihr kurz vor
Ladenschluss zugeteilt wurde. „Frohe Weihnachten!“, wünschte sie
dem ernsten Herrn, der seine Geldbörse in die Jackentasche
schob. In einer Viertelstunde würde sie Kasse machen und dann
war endlich Feierabend.
Er dachte an seine Söhne, die er liebte und daran, dass er
aufgehört hatte, es ihnen zu zeigen. Sie konnten alle reden,
diese geschulten Vermittler mit ihrer einstudierten Anteilnahme.
Wie wollten sie verstehen? Sie hatten ihr
Auskommen. Kein Schlechtes bestimmt. Er hielt vor einem
kleinen Laden, in dem noch Licht brannte. Blechspielzeug, alte
und neue Eisenbahnen samt Zubehör lag in der verstaubten
Auslage. Erinnerungen tanzten wie die wild wirbelnden
Schneeflocken um seine Nasenspitze. Jedes Weihnachten hatte er
als Kind mit seinem Vater mehr Zeit auf dem Dachboden verbracht
als in der Stube, in der die dicken schwäbischen Tanten saßen,
ihre Likörchen tranken und Hitze verbreiteten, während die noch
dickeren Onkels sich die Köpfe an den Dachbalken anstießen und
wie kleine Jungs Eisenbahn spielten, mit Gegröle und roten
Gesichtern, was vom Inhalt der bauchigen Flasche herrührte, die
Vater in einem der Tunnels versteckt hatte. Die riesige, alte
Eisenbahnanlage lag sorgfältig in Kartons verpackt auf dem
Dachboden. Er konnte sie zu Geld machen. Das Auto brauchte
dringend einen Kundendienst, neue Winterreifen. Der alte Korff,
so hieß er doch, war ein Eisenbahnfanatiker, kannte sich aus mit
guter Ware, vielleicht machte der ihm einen anständigen Preis.
Er überlegte, der Schnee fiel kalt in seinen Jackenkragen. Es
brannte ja noch Licht und so verlor sich sein Zögern und er
drückte die
Türklinke. Beim rostigen Scheppern der Glocke wurde er weich. Er
betrat den spärlich erleuchteten Laden, schüchtern wie damals an
der Hand des großen, schweren Vaters. Es roch genau wie früher
nach jener seltsamen Mischung aus alter Pappe und Maschinenöl
und einer gewissen Feierlichkeit, die sich in den Mienen der
Männer spiegelte, die hier ausnahmslos einkauften. Statt der
akkuraten Ordnung herrschte aber nun ein heilloses Durcheinander
auf den schmalen Regalen zu beiden Seiten des schlauchförmigen
Raumes. Alte und neue Kartonagen mit halb und ganz ausgepackter
Ware stapelten sich windschief in allen Richtungen bis unter die
Decke. Eine staubige Haushaltsleiter war nachlässig gegen eine
Regalwand gelehnt. Sein Blick blieb an der schwarzen Kleidung
der schmächtigen, kleinen Frau hängen,
die hinter dem wuchtigen Ladentisch über eine Kasse
gebeugt stand. Natürlich, Marga hatte es doch erwähnt, wie so
vieles, dem er nur mit halbem Ohr folgte. Der alte Korff war vor
kurzem gestorben. Er wurde verlegen.
„Tut mir Leid, wir haben schon geschlossen. Ich habe nur wieder
vergessen, abzuschließen!“ Die alte Stimme klang erstaunlich
fest im Gegensatz zu seiner, als er dann ein paar Worte murmelte
und Beileid wünschte, sich auf dem Absatz wieder umdrehte.
„Der Laden war sein Leben, wissen Sie. Die Kunden fragen nach
all den Eisenbahnen und Spielzeug hier. Mein Telefon steht nicht
still. Ich habe mich nie sehr dafür interessiert. Die Kasse
stimmt nicht.“, sagte sie übergangslos mit einem Seufzer, der
ein wenig Resignation verriet. „Kann ich ihnen helfen?“, sagte
er, weil er nicht wusste, was er sonst sagen sollte. Wenig
später zählte er das Geld in dem trüben Licht, prüfte die
Kassenzettel. Mehrmals, er war etwas aus der Übung. Die Kasse
stimmte bis auf wenige Euro. Die alte Dame bedankte sich
überschwänglich, wirkte erschöpft. „Ich weiß, ich weiß. Ich muss
den Laden verkaufen. Und dann wird das hier ne Kneipe oder so
ein Stehcafe. Aber mein Mann hing so an den Sachen und den
Kunden. Es war doch sein Leben“
„Ich habe etwas Zeit, vielleicht…“, sagte er und verstummte. Die
alte gebeugte Dame sah zu ihm auf, suchte seinen Blick. „Sie
mögen Eisenbahnen, nicht wahr?“ sagte sie leise. Und ihr Lächeln
war Weihnachten.
….....
Das junge Mädchen ordnete eilig Bücher in die Regale zurück. Die
Hektik der letzten Stunde, in der man sie überall gleichzeitig
brauchte, machte sie nervös. Sie rempelte den Kunden hinter
sich, wurde rot während sie sich mehrmals entschuldigte. Der
Kunde nahm sie nicht wahr, griff an ihr vorbei nach dem
Bildband, den sie eben zurückgestellt hatte.
Tatsächlich, es war das Buch, nachdem er seit Minuten fieberhaft
gesucht hatte. Nun stand es wieder da. Einfach so. Und es war
ihm als höre er wieder ihr perlendes Lachen, fühle ihren
spöttischen Blick, als sie sich hier zum ersten Mal begegnet
waren, gleichzeitig nach den Leuchttürmen von Jean Guichard
griffen und einen Zipfel vom Glück in Händen hielten. Später
stellten sie fest, dass ihr Geschmäcker verschieden waren, oft
genug stritten sie über den einen oder anderen Bestseller,
jedoch immer anregend, nie ernsthaft wie über viele andere
Dinge. Die Erinnerung an ihre blitzenden Augen, ihren gespielten
Protest, als er ihr scherzend das Buch entwendete, war so
lebendig, dass sie ihm einen Stich versetzte. Ab und zu waren
sie hierher gekommen, um nach dem Buch zu sehen, diese erste
gemeinsame Erinnerung zu genießen. Irgendwann, versprachen sie
sich, würde es einer von ihnen kaufen, um es den anderen zu
schenken. Irgendwann würden sie den Leuchttürmen und ihren
Geheimnissen nachspüren. Dazu war es nie gekommen. Er ging nun
fort, endgültig, und doch, diese Erinnerung wollte er für sich
bewahren. Er musste sich beeilen, noch packen. Weihnachten würde
er bei seinem Bruder und seiner Familie verbringen, Neujahr nach
Ontario fliegen und sich in die Arbeit stürzen.
„Soll ich es als
Weihnachtsgeschenk
einpacken?“, fragte sie und stutzte. Da war wieder dieser
Bildband. Sie musterte den Kunden vor ihr.
„Nein,
lassen Sie. Es ist kein
Weihnachtsgeschenk!“,
sagte er. Mit denselben Worten, denselben Tonfall der Dame, die
ihn vorher gekauft hatte. Sie konnte sich noch gut daran
erinnern und ließ sich hinreißen.
„Diese
Leuchttürme sind wohl interessant! Ich habe dieses Buch heute
schon mal an eine Dame verkauft, aber ihr schienen sie dann doch
nicht zu gefallen. Das Buch wurde nach einer Stunde
zurückgebracht. Und nun haben Sie es sich ausgesucht!“, lächelte
sie und errötete. Es kam nicht alle Tage vor, dass sie etwas
Persönliches zu einem Kunden sagte. „Ja, es ist ein
interessantes Buch. Und ich habe nicht vor, es zurückzugeben!
Wenigstens heute nicht mehr!“, sagte der Mann mit einem
verschmitzten Lächeln und deutete auf seine Armbanduhr. In
diesem Augenblick ertönte die Durchsage, die an die endende
Geschäftszeit erinnerte.
Sie lachte glücklich und wünschte ihm
frohe Festtage, tütete das Buch und die
Nikolausmütze ein. Als er nach
der Tüte griff, hielt er ihren Blick fest.
„Können Sie sich noch an die Dame erinnern, die das Buch gekauft
hat?“, fragte er und die Spannung in seiner Stimme und seinem
Blick ließ sie bereitwillig plaudern.
Eisiger Wind fegte die Straßen. Er
schlug den Mantelkragen hoch. Suchte zerstreut den
Zündschlüssel, dann das Auto, das er in der entgegen gesetzten
Richtung geparkt hatte. Er lief zurück, hielt die Tüte wie einen
Koffer umklammert. Sie hatte das Buch gekauft und es dann wieder
zurückgegeben. Warum hatte sie es gekauft? Warum es
zurückgebracht? Eine Sehnsucht so stark, dass er fluchte, ließ
ihn kaum einen klaren Gedanken fassen. Er musste sie sehen, nur
ganz kurz. Er würde ihr das Buch schenken, ehe er abreiste,
endgültig aus ihrem Leben verschwand und sie aus seinem. Er
kratzte das Eis von den Scheiben, ließ sich in das kalte
Fahrzeug fallen, starrte in den Winter. Straßenlaternen,
verschneite Bäume, Litfaßsäulen,
Leuchttürme zuhauf.
….....
Die Wohnung war eisig. Mit klammen Fingern drehte sie die
Heizkörper auf, setzte sich mit Mantel und Mütze in die Küche,
kochte sich wieder Kakao und verlor sich im Nachdenken. Das
Klingeln schreckte sie so sehr, dass sie die heiße Milch
verschüttete.
.. …..
„Hier, sieh mal!“, rief er übermütig. „Wenn es ein Junge wird,
dann werde ich mit ihm Eisenbahn spielen!“ E zog sie vor die
Auslage des kleinen, altmodischen Spielzeug-Ladens um die Ecke.
„Und wenn es ein Mädchen wird, dann spielst du mit ihm Puppen!“,
lachte sie und hakte sich unter. Eine kleine Eisenbahn mit
beladenen Waggons zog im Schaufenster ihre Runden. Sie lächelte
dem halbwüchsigen Jungen zu, der eine kleine beleuchtete
Feuerstelle in der liebevoll gebauten Dekoration überprüfte. Ein
Mann schob sich hinter einer Gebirgslandschaft vorbei und
reichte dem Jungen einen Phasenprüfer. Er nickte ihnen kurz zu
und verschwand wieder aus dem Schaufenster. Sie runzelte die
Stirn, überlegte.
„Oh, sicher wieder ein Kunde deines
gigantischen Kaufhausdschungels!“, sagte er
und zog sie sanft weiter.
„Leuchttürme“, lachte sie plötzlich
und und deutete auf das Paar, das
aus einem kleinen Cafe kam und
sich fest und still an den Händen hielt.
„Leuchttürme müssen etwas mit Weihnachten zu tun haben“.
Seid alle lieb gegrüßt
Eure Claudi
4 nette Kommentare:
wünsche dir und deinen Lieben einen schön gemütlichen 3.Advent und
LG Regina
Liebe Grüße und einen schönen 3.Adventssonntag
SilviA
Eine sehr schöne und zum nachdenken anregende Geschichte.
Liebe Claudi, ich wünsche Dir und Deinen Lieben einen schönen und besinnlichen dritten Advent.
Liebe Grüße
Marlis
SChöne Geschichte. Auch dir eine schöne letzte Adventswoche.
Gruß Gabriele
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